Arbeit am Tonfeld

Arbeit am Tonfeld

Die Wirkung der Methode beruht auf den Regeln der haptischen Wahrnehmung, die in ihrer psychischen Bedeutung bisher kaum erkannt und therapeutisch genutzt wurden. Die Arbeit am Tonfeld nimmt das natürliche haptische Erfahrungsgeschehen auf, in dem Menschen sich selbst und ihre Welt begreifen. Solche Erfahrungen, selbst allerfrüheste, speichern sich und prägen den individuellen Bewegungsausdruck. Jedes Hinwenden und Berühren des Tonfeldes enthält und wiederholt die biographisch erworbene Weise, jeglichem Gegenüber - also "der Welt" zu begegnen und mit ihr in Beziehung zu treten. "Bewegung wird Gestalt" ist ein Schlüsselsatz dieser Methode. Was sich als Bewegungsgestalt im Ton abbildet, kann auch über die Bewegung wieder aufgenommen und im Prozessverlauf weiter entwickelt und verändert werden. Die Arbeit am Tonfeld ist nicht symptomorientiert, sondern entwicklungsorientiert. Im Mittelpunkt steht nicht die jeweilige Problematik oder Krise, sondern die Möglichkeit, über die eigene Bewegung neue Antworten und Lösungen zu finden. Die Arbeit am Tonfeld wurde 1972 von Prof. Heinz Deuser begründet und über die Jahre kontinuierlich weiter entwickelt.

Das Setting

Vorgelegt wird ein flacher Holzkasten, ausgestrichen mit Ton: das Tonfeld. Daneben steht eine Schale mit Wasser bereit. Es gibt keine spezifische Handlungsanweisung, sondern nur die Anregung, das Feld mit den Händen wahrzunehmen. Erwachsene arbeiten meist mit geschlossenen Augen, damit der Tastsinn sich frei entfalten kann. Kinder folgen ihren Bedürfnissen mit offenen Augen und lassen Figuren und Geschichten entstehen. Das Tonfeld kann mit den Händen wahrgenommen, ertastet, erfahren werden. Das formbare Material lädt ein zu Erprobungen, es nimmt jede Berührung auf und stellt sich für unendliche Möglichkeiten zur Verfügung. Das begrenzte Feld vermittelt den wahrnehmenden Händen Halt, die ebene Fläche bietet freien Raum. Gestalt entsteht aus der Bewegung der Hände, die ihre Spuren im Ton hinterlassen. Die Präsenz eines ausgebildeten Begleiters ist entscheidend, der in der richtigen Weise anspricht und hilft, den Bewegungsprozess der Hände wahrzunehmen und zu verstehen. Die Methode stellt mit ihrem Setting die drei Grundelemente menschlicher Entwicklung bereit: Da ist einerseits das Tonfeld – gleichsam die Welt – als etwas Greif- und Begreifbares. Andererseits sind da die Hände mit ihrem ganzen Lebenspotential und ihrem Drang zum Handeln und Greifen. Der Entfaltungsprozess dieser Begegnung wird unterstützt und bestätigt durch ein menschliches Du.

Die Methodik

Der haptische Sinn ist der grundlegende Beziehungssinn zur Welt ebenso wie zu uns selbst. Er umfasst den Hautsinn, die Tiefensensibilität und das Gleichgewicht. Über diese Basissinne erfahren und orientieren wir uns - wir äußern uns in die Welt hinein. Wer etwas mit den Händen berührt, wird auch selbst davon berührt. Im haptischen Begreifen wird jede Bewegung bewegend zurückerfahren. Schon die ersten frühkindlichen Welt-Erfahrungen prägen sich auf diese Weise ein und formen den jeweils individuellen Ausdruck in der Bewegung. Jeder Gestus, in dem wir uns äußern, enthält die persönliche biografische Beziehungs-erfahrung zur Welt. Im Tonfeld wird es möglich, in den Spuren der Bewegung den Spuren des eigenen Gewordenseins zu begegnen. Doch es bleibt nicht beim Begegnen. Die Gegenseitigkeit von Berühren und Berührtsein fordert unweigerlich zu Antworten heraus und eröffnet einen fortlaufenden Prozess des Gestaltens und Umgestaltens. Die Hände folgen dem Bedürfnis der Bewegung, bis dieses sich erfüllt in einem neuen Gleichgewicht von Efferenz und Reafferenz, von Wirkung und Rückwirkung. Was in der biografischen Situation eventuell nicht möglich war, kann hier im sensomotorischen Prozess am Tonfeld nachgeholt und ausgeglichen werden. Dazu stellt sich der Ton unendlich zur Verfügung. Er ist gestaltbar und vermittelt die eigene Berührung zurück, so dass Veränderung und Entwicklung möglich wird. Was hier modellhaft in der Bewegung der Hände geschieht, umfasst zugleich auch die grundlegende Entwicklungsbewegung des Lebens.

Das Netzwerk unserer Bewegung

Wir erfahren uns zu uns im leiblichen Ausgleich wie im körperlichen Gleichgewicht, das mit jedem Aktgeschehen wiederhergestellt werden muss. Die Reduktion des Settings auf die Äußerung unserer Bewegung und auf ihre Rückmeldung, erlauben die Wahrnehmung von Vorgängen, in denen dieser Output und dieser Input in unserer Bewegung verläuft und sich anzeigt, so dass wir uns darin aufgreifen können. Was wir erleben, ist das personale Wir im Zu-Uns. Wir erfahren uns dazu im Wie-zu-Uns. Dieses Wie-zu-Uns zeigt sich in dem, was aktual ansteht: Das sind neuronale Vorgänge im Vorgang unserer Bewegung von Efferenz und Reafferenz als Reafferenzprinzip. Das sind Erfahrungen im Nervus Vagus zum körperlich-leiblichen Ausgleich. Das sind Erfahrungen zum körperlich-leiblichen Erhalt im vegetativen Nervensystem und das sind Erfahrungen, in denen wir uns haptisch äußern, zukommen, zu uns selbst biologisch verstehen und aufnehmen in unserem körperlich-leiblichen Welt- und Selbstbezug. Das Tonfeld mit seinem wandelbaren Material präsentiert unsere Realität. Diese integrative Herangehensweise kann dazu beitragen, nicht nur die Dynamik in Beziehungen zu verbessern, sondern auch eine tiefere Verbindung zu sich selbst zu kultivieren.

Für wen ist die Arbeit am Tonfeld geeignet?

Das schlichte Setting und die sinnenorientierte Arbeitsweise spricht Kinder aller Altersstufen sowie Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen an. Da die Arbeit am Tonfeld die menschliche Tendenz zu Entfaltung und Verwirklichung aufgreift, kann sie bei jeglichen Problemen wirksam sein. Selbst die Spuren früher vorsprachlicher Erfahrungen können im haptischen Prozess aufgenommen und in den allgemeinen Entwicklungsprozess eingebunden werden. Für Kinder und Jugendliche ist die Arbeit am Tonfeld in besonderem Maße geeignet. Sie greift ihr spontanes Bestreben auf, sich in diese Welt einzuordnen und darin ihren Platz, ihr Selbstverständnis und ihren Selbstwert zu finden und aufzubauen. In ihrem komplexen Alltag sind Kinder oftmals überfordert und reagieren mit Entwicklungsproblemen. Sie brauchen dann eine gezielte Förderung, damit sie sich nach ihren Möglichkeiten optimal entwickeln und ihre Fähigkeiten nutzen können. Die Arbeit am Tonfeld bietet eine wirksame Hilfe, um verhinderte Entwicklungspotentiale aufzuholen und das Kind oder den Jugendlichen in seinen emotionalen und sozialen Bedürfnissen anzusprechen. Eine Vielzahl von Verhaltensauffälligkeiten und Schwierigkeiten kann so ausgeglichen werden. Die Methode hat sich seit Jahren in Kindergärten, Schulen, in der Jugendhilfe und in psychotherapeutischen Einrichtungen bewährt. Staatliche Empfehlungen Für Erwachsene bietet die Arbeit am Tonfeld die Möglichkeit, Schwierigkeiten zu verarbeiten, die teilweise auf Verhinderungen oder belastende Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen sind. Da sich in der Arbeit am Tonfeld der Entwicklungsaufbau von den frühesten Erfahrungen an wiederholt, ist es möglich, das einzuholen, was nicht erworben werden konnte, und neue Anforderungen aufzunehmen. Dabei geht es insbesondere um Halt und Neuorientierung im Beziehungsgeschehen zu sich und seiner Welt, um soziale Kompetenz und Selbstwertgefühl, um Reife und Ablösungsschritte. In der zweiten Lebenshälfte geht es darum, eine innere Lebensgrundlage zu gewinnen. Sie kann die Basis sein für die Einsicht, dass die Bedingungen zu uns gehören und uns ausmachen, an denen wir uns erfahren.

Publikationen

    Lebendige Haptik - Handbuch zur Arbeit am Tonfeld

    Heinz Deuser


    Verlag Books on Demand, 2020

    Die Arbeit am Tonfeld 
- Phänomenologien der Haptik



    Heinz Deuser

    
in: Franzen, Hampe, Wigger (Hg.), Zur Psychodynamik kreativen Gestaltens München 2020 (K. Alber)



    Arbeit am Tonfeld - Der haptische Weg zu uns selbst


    Heinz Deuser


    Psychosozial-Verlag, Gießen 2018



    Der haptische Sinn
 Beiträge zur Arbeit am Tonfeld


    -

    Hg. „Verein für Gestaltbildung e.V. 2009

, erweiterte Neuauflage Dortmund 2016 Hg. Heinz Deuser

    Auf den Spuren von Lucy zur Arbeit am Tonfeld


    Heinz Deuser


    in: Resonanz und Resilienz, Hg. D. Titze, 
Hochschule für Bildende Künste Dresden 2008 



    Im Greifen sich begreifen
 Die Arbeit am Tonfeld nach Heinz Deuser


    Gerhild Tschachler-Nagy, Annemarie Fleck


    Keutschach 2007, © G. Tschachler-Nagy

    Die Arbeit am Tonfeld nach Heinz Deuser
 Eine entwicklungsfördernde Methode für Kinder, Jugendliche und Erwachsene



    Gerhild Tschachler-Nagy, Annemarie Fleck



    2. Auflage Keutschach 2006, © G. Tschachler-Nagy



    Die Arbeit am Tonfeld


    Heinz Deuser


    in: Aus der Mitte, Hg. D. Titze, Hochschule für Bildende Künste Dresden 2005



    Die Arbeit am Tonfeld

    Heinz Deuser

    in: Jung-Journal Nr. 13/2005

    Bewegung wird Gestalt 
 Der Handlungsdialog in der Arbeit am Tonfeld



    Heinz Deuser 
(Hg.)

    
Bremen 2003 (edition doering)



    Arbeit am Tonfeld


    Heinz Deuser


    Beitrag in: Wörterbuch der Analytischen Psychologie

Hg. L. Müller, A. Müller, März 2003 (Walter)



    Welchen Grund bietet nonverbale Arbeit für die Wissenschaft? 
 Überlegungen und Beobachtungen am Beispiel der Arbeit am Tonfeld



    Heinz Deuser

    
in: P. Petersen (Hg.), Forschungsmethoden künstlerischer 
Therapien Stuttgart/Berlin 2002 (J. Mayer)



    Die Begleitung in der Arbeit am Tonfeld


    Heinz Deuser



    in: W. Doering/ W. Doering (Hg.), Von der Sensorischen Integration zur Entwicklungsbegleitung, Dortmund 2001 (Borgmann)



    Die Arbeit am Tonfeld


    Heinz Deuser


    in: Poesis 6 / 1991, Zeitschrift des Instituts für praktische Anthropologie
 Hg. Rudolf zur Lippe

    Eingliederungen in die Kunsttherapie - Essay

    Prof. Dr. U. Elbing

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